RECHTSCHREIBEN IST AUCH RECHTFÜHLEN
Warum haben Menschen so gar kein Problem mit der deutschen Rechtschreibung – und andere bekommen schon beim Hören des Wortes Bauchschmerzen?
Ich zähle ganz klar zur ersteren Gruppe. Aber nicht nur, dass ich mich selbst als Sprachliebhaber bezeichnen würde – ich habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch eine zunehmende Freude daran entwickelt, andere mit meiner Begeisterung anzustecken.
Und hier sind meine zehn Gründe, warum ich das Thema Rechtschreibung so liebe:
1. 🪴 Weil Lernen mit dem Herzen beginnt.
Und genau das ist Rechtschreibung für mich: Ein Herzstück der Sprache. Rechtschreibung sagt sehr viel aus über uns als Leser, Zuhörer und Sprecher. Wo finden wir den Ursprung von Wörtern oder ganzen Ausdrücken und Phrasen? Wie ist die Sprache entstanden, die wir tagtäglich benutzen? Hier habe ich viele Beispiele in der Hinterhand, auf die ich immer wieder gerne zu sprechen komme: Warum wird das Wort “dämlich” von Dame abgeleitet und warum dulden wir einen so starken Kontrast innerhalb der Geschlechter, wenn wir dem das Wort “herrschaftlich” entgegenstellen?
2. ❤️ Weil ich sehe, wie Kinder aufblühen…
… wenn sie plötzlich schreiben können, was sie denken – ohne Angst, etwas falsch zu machen. Unsicherheiten beim Schreiben führen zu einem gehemmten Schreibfluss. Kinder mit einer unsicheren Rechtschreibung schreiben automatisch langsamer und zögerlicher. So kommen sie nie in den Genuss, ihre Gedanken und Geschichten in voller Fülle aufs Papier zu bringen. Das ist schade. Wer immer hinter seinem Potenzial zurückbleibt, wird irgendwann daran glauben, dass dieses Potenzial nie vorhanden war. Und auch Eltern fühlen den Frust, wenn sich das eigene Kind unter Wert “verkauft”, weil die Wörter nicht auf dem Papier landen wollen. Wenn das Schreiben von möglichst wenig Text zur Strategie wird, um Rechtschreibfehler zu vermeiden, nennt man das übrigens Misserfolgsvermeidung.
3. ✨ Weil hinter jedem Fehler eine Geschichte steckt.
Und ich liebe es, diese Geschichten zu entdecken – und daraus Lernwege zu bauen. Nicht jeder Fehler ist ein Fehler. Immer wieder sehe ich, dass hinter einem Rechtschreibfehler ausgesprochen kluge und kreative Gedanken stecken können. Hier lohnt sich ein genauerer Blick. Zum Thema “Rechtschreibfehler ist nicht gleich Rechtschreibfehler” gibt es sogar bereits einen eigenen Blogartikel. Und wenn daraus sogar noch eine spannende Diskussion entfacht, welche ursprüngliche Bedeutung einem Wort zugrunde liegen könnte, macht Rechtschreibung gleich doppelt Spaß.
4. 🧠 Weil Sprache Denken formt.
Wer richtig schreiben kann, kann auch klarer denken. Und das verändert oft viel mehr als nur Schulnoten. Denn Wortspiele, Witze oder auch Ironie und Sarkasmus können nur gelingen, wenn sowohl der Sprecher als auch der Zuhörer ein bestimmtes sprachliches Niveau erreicht hat. Und wie viel schöner ist Sprache, wenn man sie auf vielen verschiedenen Ebenen verwenden kann.
5. 🛠️ Weil Rechtschreibung ein Werkzeug ist – kein Stolperstein.
Ich will, dass Kinder dieses Werkzeug mit Freude nutzen. Meine Trainingskinder kennen mein metaphorisches Beispiel mit dem Baumfäller, der am Ende des Tages völlig erschöpft zu Hause ankommt, weil er zwar den Baum gefällt hat, jedoch nur unter größter körperlicher Anstrengung. Welchen Tipp würde ihm seine Frau wohl geben? Sich noch mehr anzustrengen? Noch mehr Schmerzen in Kauf zu nehmen? Sie würde ihm raten, dass er einen halben Tag Pause machen sollte, um seine Axt gründlich zu schärfen. Die Zeit, die er dafür investiert, würde er in den kommenden Tagen und Wochen um ein Vielfaches wieder reinholen. Das Schärfen der Axt ist bei einem Schulkind das Schreiben. Schreiben, schreiben, schreiben. Aber bitte mit System.
6. 📚 Weil ich als Kind selbst Wörter geliebt habe.
Wörter haben mir die Welt erklärt – und heute darf ich anderen helfen, ihre eigene Sprache zu finden. Ich habe schon sehr früh angefangen, sehr viel zu lesen – und daran hat sich in meinem Leben auch nichts geändert. Und ich empfinde diese Leidenschaft als großes Privileg, quasi tagtäglich meine Empathie trainieren zu können. Bei welcher Gelegenheit im Leben kann ich in dem einen Moment der sympathische Mafiaboss (Der Pate) und im nächsten Moment der hoffnungslos aufrichtige Liebende (Gottes Werk und Teufels Beitrag) sein, dann wieder Teil eines menschenrettenden Forschungsteams (Der Schwarm) und am Ende des Tages fühle ich den Schmerz des Verlustes in Zeiten des Krieges (Der englische Patient)? Vielschichtige Empathie kann nur Literatur hervorbringen.
7. 🧩 Weil ich es liebe, Strategien zu vermitteln, die funktionieren.
Kein stumpfes Auswendiglernen – sondern echtes Verstehen. Rechtschreibung ist nicht wahllos oder gar willkürlich. Sie folgt einem System. Und manche Kinder brauchen genau dieses Verständnis, um sich im Dschungel der Sprache besser zurechtzufinden.
8. 🚀 Weil kleine Lernschritte oft riesige Entwicklungsschritte sind.
Ein richtig geschriebenes Wort kann der Anfang von ganz viel Selbstvertrauen sein. Viele Kinder, die zu mir kommen, bauen die Schreibweisen von Wörtern immer wieder neu auf. Bei jedem Wort fangen sie wieder von vorne an. Wenn ich ihnen zeige, dass man mit dem Wort “fahren” bereits ganz viele andere Wörter richtig schreiben kann, dann ist das ein gewaltig großer Schritt.
9. 👀 Weil ich die leuchtenden Augen sehe…
… wenn ein Kind sagt: „Ich hab’s richtig geschrieben!“ – und das ganz ohne Hilfe. Niemand ist gerne schlecht in einer Sache. Für niemanden fühlen sich Fehler gut an. Und da hilft auch ein “Ist doch nicht so schlimm!” oder “Du kannst andere Sachen gut!” nicht. Es kann den Schmerz mildern, aber es kann ihn nicht heilen.
10. 🎯 Weil ich jeden Tag beweisen darf, dass jedes Kind lernen kann.
Man muss nur wissen, wie – und das herauszufinden, ist mein Antrieb. Ich habe noch nie ein Kind angetroffen, bei dem keine Fortschritte möglich waren. Das eine Kind braucht mehr Zeit als das andere. Das eine Kind braucht mehr Erklärungen als das andere. Das eine Kind braucht mehr emotionale Zuwendung als das andere. Aber ich habe noch nie erlebt, dass Übung und Fokussierung zu Rückschritten führt. Ich werde immer wieder gefragt, welche Methode denn die richtige wäre, um endlich die ersten Fortschritte zu machen. Meine Antwort ist mittlerweile sehr deutlich: Nicht die Methode ist entscheidend, sondern anzufangen.
Vielleicht konnten Sie durch meine Auflistung eine neue Perspektive auf das Thema Rechtschreibung gewinnen? Vielleicht haben Sie in der einen oder anderen Zeile Ihr Kind wiedergefunden. Wenn Sie möchten, begleite ich Sie gerne auf dem Weg zu mehr Klarheit und Sicherheit beim Lesen, Schreiben und Rechtschreiben. Werfen Sie gerne einen unverbindlichen Blick in mein Angebot.















Liebe Diana, das ist eine wunderbare Sammlung von Gründen für die Rechtschreibung! Mir gefiel der 5. Punkt – Rechtschreibung ist ein Werkzeug, am besten. Mir selbst fiel das korrekte Schreiben in der Schulzeit auch schwer, da mir die Strategien nie klar waren! Deswegen ist es so wichtig für so viele Kinder, die Strategien dahinter zu verstehen.
Viele Grüße
Anja
Ja, da gehe ich gern mit. Rechtschreibstrategien habe ich aber erstens nie gelernt und zweitens nie gebraucht. Warum? Weil bis in die 1980er-Jahre dir Rechtschreibung intuitiv gelernt wurde, das heißt, durch Ab- und Schönschreiben. Dabei hat man sich die Schreibung automatisch eingeprägt. Ich musste für meine Rechtschreibförderung die Strategien alle erst einmal lernen. Und, die haben mich dann verunsichert, weil es so viele Ausnahmen gibt. Deshalb ist es wichtig, dass beim Rechtschreiberwerb systematisch vorgegangen wird. Je früher die Kinder frei schreiben sollen bzw. dürfen, desto mehr ist diese Systematik gefährdet (Ranschburgsche Hemmung). Wenn ich heute mal unsicher beim Schreiben bin, dann überlege ich nicht, welche Strategie anzuwenden ist, sondern schaue im Online-Duden nach. Das ist allerdings wirklich selten nötig.