K WIE KÖRPERHALTUNG
Körper und Seele sind untrennbar miteinander verbunden. Ist die Seele belastet, wird dies früher oder später auch körperlich sichtbar werden.
Ich habe vor dem Übergang zum Online-Unterricht lange genug in Präsenz gearbeitet, um aus folgender Beobachtung eine eigene kleine Statistik machen zu können: Kinder, die Schwierigkeiten in der Schule haben, haben meist auch Schwierigkeiten mit der inneren und äußeren Haltung.
Was diese Kinder von sich selbst halten, zeigen sie im Inneren (ihrem fehlenden Selbstbewusstsein) und ihrem Äußeren (ihrer Körperhaltung).
Es scheint also eine Korrelation zu geben – sicherlich nicht immer, aber auffallend häufig.
⇒ Wo die Spurensuche bei einer schlechten Körperhaltung beginnen muss, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ich möchte Ihnen dennoch ein paar Anregungen mit auf den Weg geben.
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Fehlende Spannung in der Körperhaltung
„Setz dich gerade hin!“, „Du liegst ja fast mit der Nase auf dem Blatt!“ oder „Du sitzt ja am Tisch wie ein nasser Sack!“ – Aussagen, die man kennt. Doch hier lohnt es sich genauer hinzuschauen.
Körperhaltung als Ursache
Es gibt Ergotherapeuten, die schlechte Schulleistungen in einer mangelnden Körperspannung begründet sehen. Für den Körper sind das aufrechte Sitzen am Schreibtisch, die Führung des Stiftes oder die richtige Kopfhaltung beim Lesen so anstrengend, dass dem Körper für weitere Leistungen schlichtweg die Kraft fehlt. Laut ihrer Meinung sind Bewegung, Sport und eine Förderung des Körperbewusstseins eine wichtige Voraussetzung für kognitive Leistungen.
Ich vergleiche dies gerne mit dem Gang durch die Fußgängerpassage, während ich telefoniere. Wenn ich mich auf meine Beine verlassen kann, dann kann ich mich voll und ganz auf das Telefonat konzentrieren. Wenn ich jedoch während des Telefonats noch die ganze Zeit darauf achten muss, dass mir die Beine nicht wegknicken oder mein Oberkörper nach vorn kippt, dann werden mir mit Sicherheit viele Momente des Gesprächs verloren gehen. Ich habe zwar gehört, was der andere sagt, aber ich kann nicht empathisch darauf reagieren, weil mein Fokus woanders liegt.
Warum können sich die meisten Menschen in Großraumbüros dann besser konzentrieren, wenn ein Teil des Kollegiums im Urlaub ist? Weil es für unser Gehirn eine unfassbar hohe Herausforderung ist, sich auf viele Dinge parallel konzentrieren zu müssen. Dass ganz nebenbei auch das strategische Ausblenden von Ablenkungen Konzentration erfordert, wird gerne übersehen. Und mit der Konzentration ist es wie mit dem Sättigungsgefühl. Es ist eine ganze Weile da und bei dem einen länger und bei dem anderen kürzer. Aber irgendwann lässt es eben nach. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und je größer die Anstrengung war, umso schneller sind die Ressourcen aufgebraucht.
Das kann ja nichts werden
Wie oft dachte ich schon beim Zusehen: Wenn ich so im Stuhl hängen würde, würden mir auch gleich die Augen zufallen.
Mit unserer Körperhaltung geben wir uns selbst auch ein Signal. Sind wir bereit, hier und jetzt Großes zu vollbringen? Oder sind wir bereit fürs Sofa?
- Referate und Vorträge werden in der Regel im Stehen gehalten. So wird Präsenz und Bereitschaft ausgestrahlt, noch bevor das erste Wort gesagt wird.
- Sänger und Musiker stehen vor ihrem Mikro. Haben Sie schon einmal versucht, im Liegen kräftig und schwungvoll zu singen?
- Menschen, die sich streiten, stehen sich dabei meist wild gestikulierend gegenüber. Wir brauchen unseren Körper, um unserer Meinung Ausdruck zu verleihen und buchstäblich unseren Standpunkt klarzumachen.
Ihnen fallen bestimmt auch selbst noch jede Menge passende Beispiele aus dem Alltag ein, die genau das unterstreichen: In Bewegung und mit einer entsprechenden Körperhaltung lassen sich viele Dinge leichter erledigen. Und schneller, da mehr Energie in der Handlung steckt.
Genauso ist es auch beim Lernen
In den meisten Fällen ist dies ein Teufelskreis: Wenn die eigenen Leistungen permanent nicht denen des Durchschnitts entsprechen, so nimmt früher oder später das Selbstbewusstsein Schaden. Die Kinder lassen die Schultern fallen, machen sich klein und ihre Erschöpfung macht sich dadurch bemerkbar, dass sie den Kopf beim Lesen oder Schreiben beinahe auf den Tisch legen.
Körperhaltung als Symptom
♥ Kein Kind muss sich klein machen oder sich verstecken. Ermutigen Sie Ihr Kind zu einer aufrechten und selbstbewussten Körperhaltung! Schlechte Noten? Egal! Jedes Kind hat tausend Gründe, um mit gestrafften Schultern und einem Lächeln im Gesicht durch die Straßen zu gehen!
Das Gute: Sind die Muskeln aktiviert, so werden auch bei den Schulaufgaben neue Kräfte freigesetzt. Sport und Bewegung fördern also nicht nur auf direktem Wege Gesundheit und Konzentration! Auch indirekt – durch Bewegungspausen, Treppe statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Auto – trägt Bewegung zu einem Ausgleich bei, der konzentrationsfördernd ist.
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Überspannung in der Körperhaltung
Manchmal erleben wir Kinder auch in einem Zustand vollkommener Angespanntheit. In diesen Situationen fallen Kinder durch eine fehlende „Lockerheit“ auf. Sie verhalten sich unangemessen ruckartig und werden als unkonzentriert oder unvorsichtig wahrgenommen. In diesem Zustand fällt dann auch sehr schnell mal ein Glas Wasser um.
Auch diese Form der Körperspannung schränkt die Leistungsfähigkeit ein, denn auch sie verbraucht Kraft – Ressourcen, die dann fehlen, um beispielsweise eine gleichmäßige und abgerundete Handschrift aufs Papier zu bringen.
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Die goldene Mitte
Der Zustand höchster Leistungsfähigkeit liegt in der Mitte zwischen Überspannung und Unterspannung, denn in diesem Zustand benötigt der Körper die wenigste Energie für die Haltung.
Beobachten Sie Ihr Kind, in welchem der Zustände es sich in Situationen des Lernens befindet und besprechen Sie dann gemeinsam, was helfen könnte, innere Spannung auf- oder abzubauen.
Bedenken Sie dabei: Das Kind während des Lernens permanent daran zu erinnern, dass es sich gerade hinsetzen und den Kopf nicht auf den Handflächen abstützen soll, löst das Problem nicht. Es sorgt höchstens dafür, dass die Gedanken sich verstärkt auf die Körperhaltung anstatt auf die zu lernende Inhalte konzentrieren.
Mögliche Alternativen
Finden Sie stattdessen gemeinsam Wege, um das Lernen mit einer positiven Körperhaltung zu verknüpfen, ohne dass der Fokus immer wieder betont werden muss.
- Nehmen Sie die vorbereiteten Karteikarten mit auf einen Spaziergang und fragen Sie sich dort gegenseitig ab.
- Nutzen Sie Ballspiele jeder Art, um aus jedem Ballwechsel ein Frage- und Antwortspiel zu machen. Ab einem gewissen Alter können Kinder das auch alleine und mit einem Tennisball in der Hand die Vokabeln wiederholen.
- Tauschen Sie den Schreibtischstuhl gegen einen Gymnastikball aus. Ich selbst sitze seit Jahren auf nichts anderem mehr, sobald ich an den Schreibtisch gehe. Es war anfangs gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile möchte ich nicht mehr darauf verzichten. Die Muskeln werden aktiviert ganz ohne Sporteinheit.
- Kinder bekommen mit dem Start in die Schulzeit oft eingetrichtert: Gelernt wird im Sitzen am Tisch. Warum eigentlich? Manche Kinder schreiben lieber im Stehen. Damit der Rücken gerade bleibt, kann man übergangsweise ja auch einen Stuhl auf einen Tisch stellen und diesen als Unterlage nutzen.
- Genauso darf im Raum herumgegangen werden, um Inhalte zu wiederholen und sich vorzusagen.
- Oder verknüpfen Sie das Lernen direkt mit einem kleinen Work-out: Das Buch steht hochkant auf dem Tisch, ihr Kind liegt mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken auf dem Boden. Ein Sit-up nach oben und die Vokabel wird gelesen und vorgesprochen. Wieder auf dem Boden liegend, wird die Vokabel laut wiederholt.
Ich höre immer wieder, dass Kinder beim Lernen schnell ermüden und sich nicht lange konzentrieren können. Bewegung (also kein Marathon, sondern schlicht und einfach Bewegung) dagegen aktiviert den Körper. Warum nicht also beides kombinieren?
Zurück zur Körperhaltung
Wenn Sie den Eindruck haben, dass ich hier von genau Ihrem Kind gesprochen habe, dann gebe ich Ihnen folgenden Tipp mit auf den Weg: Den Fokus jetzt beim Lernen zu belassen, wird die Lern-Leistungsprobleme Ihres Kindes vermutlich irgendwann mindern und die ersten Erfolge werden sich einstellen – durch die Wiederholung und das Dranbleiben, das Üben und die zusätzliche Förderung.
Schneller können Sie jedoch Fortschritte erzielen, wenn Sie Ihr Kind dabei unterstützen, Haltung zu entwickeln. Eine innere Haltung („Ich kann das NOCH nicht“) und äußere Haltung (Schultern zurück, Brust raus). Fehlende oder zu viel Körperspannung lässt sich nicht durch Reden auf- oder abbauen. Hierfür braucht der Körper schlichtweg jede Menge Bewegungserfahrung.
Seien Sie Vorbild
Der schönste Erfolg ist der, den man teilen kann. Deswegen kommt auch hier am Ende wieder der Hinweis, den Sie in fast all meinen Artikeln finden werden: Seien Sie Vorbild und gehen Sie den Weg mit Ihrem Kind gemeinsam! Manchmal reicht es auch schon, gemeinsam zu erleben, dass Strategien und Alternativen funktionieren. Wenn das erreicht ist, können Sie sich als Eltern zurückziehen und als stiller Beobachter darüber lächeln, wie Ihr Kind seine Erfolge weiterführt.
Doch der erste Schritt ist meist der schwerste und Kinder, denen Bewegungserfahrungen (noch) fehlen, verknüpfen mit Bewegung oft auch überwiegend Anstrengung und Überwindung statt Erfolg und Freude. Wenn sie die Spaziergänge, die Work-outs, die Bewegungseinheiten nicht alleine machen müssen, nehmen sie diese mit Sicherheit auch viel leichter an.
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