S WIE SELBSTKONTROLLE
„Schau dir nochmal an, was du da geschrieben hast!“ – Das klingt so einfach, aber in Wahrheit ist es die absolute Königskür auf dem Weg zu einer besseren Rechtschreibung.
Was kommt nach dem LRS-Training
Ein LRS-Training konnte nun also die Wissenslücken Ihres Kindes schließen. Dieses hat Ihrem Kind die Logik der Sprache transparent und nachvollziehbar gemacht. In vielen Übungsphasen (und wahrscheinlich mit häufiger Gegenwehr) festigte sich nach und nach das erworbene Regelwissen.
Und nun folgt der anstrengendste Schritt auf dem Weg zu weniger Rechtschreibfehlern: Das Anerziehen einer effektiven Selbstkontrolle. Dieser Schritt erfordert sehr viel Disziplin und Willen: Denn am Ende einer geschriebenen Arbeit möchte man die Zettel am liebsten so schnell wie möglich loswerden. Doch genau dann sollte das Geschriebene noch nicht aus der Hand gegeben werden. Ein weiterer Arbeitsschritt beginnt.
Die richtige Strategie zur Selbstkontrolle
Der Begriff Selbstkontrolle umfasst verschiedene Strategien, die Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-Rechtschreibschwäche dabei helfen, ihre Fehleranzahl beim Schreiben weiter zu senken. Der Unterschied zum aufmerksamen Schreiben liegt darin, dass die Kinder im Anschluss an einen geschriebenen Text gezielt auf Fehlersuche gehen.
Inhalt und Rechtschreibung werden also getrennt voneinander betrachtet. Zuerst kommt der Fokus auf den Inhalt, die Aufgabenstellung und den zu schreibenden Text. Danach verschiebt sich der Fokus auf die Hauptfehlerquelle(n).
Ein kurzes Fallbeispiel
Trotz intensiven Übens ist die Arbeit wieder eine 4- geworden und die Fehler, die gemacht wurden, verursachen ein verzweifeltes Kopfschütteln – genau DAS haben wir doch tausendmal geübt!
↓ Die Verzweiflung der Eltern: Wofür eigentlich das ganze Üben? Da verbringt man die sonnigen Nachmittage am Schreibtisch und die Note ist wieder die gleiche.
↓ Die Verzweiflung des Kindes: Ich kann es einfach nicht! Ich habe so viel Zeit in die Vorbereitung für die Arbeit gesteckt. Wahrscheinlich bin ich einfach zu doof.
↓ Die Verzweiflung der Lehrer: Hier fehlt es an Übung und Anstrengungsbereitschaft! Wir müssen im Unterrichtsstoff vorankommen und es ist weltfremd zu erwarten, dass vor jeder Arbeit drei Wochen alleine für Übungs- und Wiederholungsaufgaben investiert werden können.
Dieses Phänomen ist LRS-typisch. Der Versuch, sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Rechtschreibung zu konzentrieren, führt in der Regel nicht zu weniger Rechtschreibfehlern, sondern zu Texten, die kaum zu verstehen und ohne einen erkennbaren roten Faden geschrieben sind. Angesichts dessen ist es zu empfehlen, dass Kinder beim Schreiben von Texten zunächst ihre gesamte Konzentration auf den Inhalt verwenden.
Die Selbstkontrolle schließt den Schreibprozess ab – immer!
Ist der Text geschrieben, so kommt der abschließende Schritt der Selbstkontrolle:
Der erste Schritt – Textverständnis
Der geschriebene Text wird auf Verständlichkeit und fehlende Wörter hin überprüft. Dies muss mit den Kindern im Vorfeld trainiert werden!
- Eine gute Leitfrage ist hier: „Hast du selbst deinen Text verstanden?“
- Der geschriebene Text wird mit der Aufgabenstellung abgeglichen.
- Sind alle Schreibkriterien beachtet, die im Vorfeld besprochen wurden? (zum Beispiel ausdrucksstarke Adjektive bei Erlebnisberichten oder die Zeitform Präsens bei einer Inhaltszusammenfassung)
2. Der zweite Schritt – Rechtschreibung
Die gezielte Fehlersuche nach einem oder zwei ausgewählten Fehlerschwerpunkten. Die Aussage „Lies noch einmal über deine Arbeit und schaue nach Fehlern.“ ist oft nicht hilfreich, denn wären den Kindern die Fehler bewusst, wären sie gar nicht erst passiert!
Fehlerschwerpunkte können je nach Kind beispielsweise sein:
⇒ Großschreibung
- Woran erkenne ich ein Nomen im Satz?
- Worum geht es in meinem Satz?
- Was beschreibe ich in meinem Satz?
Die Suche nach großgeschriebenen Wörtern lässt sich beispielsweise mit diesen Übungskarten üben.
⇒ Doppelkonsonanten
- Wann brauche ich in einem Wort eine Dopplung?
- Mit welcher Strategie kann ich versteckte Doppelkonsonanten aus ihrem Versteck locken?
- Zu welchem Wortstamm gehört das Wort, das ich schreiben möchte?
Das Sprechen in Silben, das Hörbarmachen von Dopplungen und das Zurückführen von Wörtern auf ihren Wortstamm können Sie mit diesem Arbeitsheft üben.
⇒ Kommasetzung
- Woran erkenne ich einen Nebensatz?
- Welche Aussagen im Satz werden durch das Komma getrennt?
- Wo macht meine Stimme beim Sprechen eine Pause?
Strategien zur Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen und damit auch zur Kommasetzung, finden Sie in diesem Arbeitsheft.
3. Der dritte Schritt – Unterstützung von außen
Die Unterstützung der Lehrkraft kann einen wesentlichen Beitrag leisten für eine sichere Umsetzung der Selbstkontrolle. Es gibt beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Schülern ermöglichen, ihre Arbeit am nächsten Tag noch einmal durchzulesen. Inhaltlich dürfen dann selbstverständlich keine Veränderungen mehr vorgenommen werden. Doch die Korrektur von Rechtschreibfehlern oder das Setzen von vergessenen Kommata gibt den Kindern die Möglichkeit zu zeigen, was sie eigentlich schon während der Arbeit gekonnt hätten – jedoch an der Umsetzung gescheitert sind. Dieses Entgegenkommen empfinden die Kinder nicht selten auch als eine Form der Wertschätzung.
Fehler finden zu können, setzt voraus, dass ein Kind den grundsätzlichen Aufbau der deutschen Sprache verstanden hat. Schreibweisen sind nicht wahllos oder gar beliebig, sondern folgen dem klaren Prinzip eines Wortstamms, an den sich weitere Wortbausteine fügen können. In dem Artikel „Regelwissen“ beschreibe ich genauer, wie diese Betrachtungsweise zur Reduzierung von Rechtschreibfehlern beitragen kann.
4. Der vierte Schritt – Offenheit
In unserer Gesellschaft scheinen mir Fehler grundsätzlich negativ besetzt zu sein. Man muss sich dafür schämen, wenn sie passieren, man muss sie verstecken und sie werden (in Form von schlechten Noten) bestraft.
Ich wünsche mir einen viel offeneren und wertschätzenderen Umgang mit Fehlern! Denn sie helfen uns dabei, uns weiter zu verbessern. Sie geben uns an, wo vielleicht noch etwas fehlt.
Aber in jedem Fall sollten sie bedingungslos erlaubt sein! Jedes geschriebene Meisterwerk ist im Vorfeld mehrmals durch ein Lektorat gegangen. Kein Theaterstück gelingt ohne viele Stunden Vorbereitung. Und es gibt auch kein Gartenbeet, auf dem nicht schon viele junge Pflänzchen ihr Zeitliches gesegnet haben. Fehler gehören zum Leben dazu. Und wir können unseren Kindern gar nicht oft genug sagen, dass „perfekt“ nicht unser angestrebtes Ziel ist. Besser als beim letzten Mal reicht vollkommen!
Auch Kontrolle ist Übungssache
Bei der Selbstkontrolle ist es nicht anders als bei allen anderen Bereichen des Lernens: Sie muss trainiert werden, damit man auch in Stresssituationen sicher auf sie zurückgreifen kann.
Zum Üben empfehle ich zum einen,
• dass nur nach den Fehlerquellen gesucht werden sollte am Ende eines Textes, die außerhalb des freien Schreibens sicher beherrscht werden. Sprich, wenn es noch große Unsicherheiten gibt bei der Groß- und Kleinschreibung, sollte dieses Themenfeld bei der Fehlersuche ausgelassen werden. Kinder neigen sonst zum sogenannten Verschlimmbessern.
Und zum anderen,
• dass die Fehlerfindung im Vorfeld gut eingeübt sein muss. Dies kann man auch schon im „kleinen Rahmen“ automatisieren, indem beispielsweise jede WhatsApp-Nachricht und jeder Einkaufszettel auf Fehler überprüft wird, bevor der Text an eine andere Person weiter“gegeben“ wird. Dies fühlt sich anfangs sicher nervig und unnötig an – aber mit etwas Routine wird die Selbstüberprüfung zu einer selbstverständlichen Begleitung des Schreibprozesses.
KLEINE TRICKS - GROßE WIRKUNG
Nicht immer ist es so leicht, dass „nur“ die Rechtschreibung in einem Text kontrolliert werden muss. Manchmal sind es auch grammatische Regeln oder die Bildung von Zeitformen in den Fremdsprachen oder die Struktur eines Textes, die kontrolliert werden müssen.
In diesem Fall empfehle ich, dass die Kontrolle mithilfe der eigenen Unterlagen erfolgen sollte. Ein „Ich glaube, so wird das Present Perfect gebildet“ hilft niemandem und schon gar nicht den Abspeicherprozessen unseres Gehirns. Definitiv besser ist der Blick auf eine Übersicht, ein Merkblatt etc., um sich (zumindest im Rahmen der Hausaufgaben und beim Üben) bei der Lösung auch wirklich sein zu können.
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- 1. Finden Sie Worte für das, was schiefläuft.
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